skip to main content
Emotionale Mitarbeiterbindung: Impulse für die deutsche Wirtschaft

Emotionale Mitarbeiterbindung: Impulse für die deutsche Wirtschaft

VON Marco Nink

Höhepunkte

  • In Zeiten des Arbeitskräftemangels bringt emotionale Mitarbeiterbindung Chancen für deutsche Unternehmen.
  • Deutschland liegt mit nur 17 % an emotional hoch gebundenen Mitarbeitenden unter dem weltweiten Durchschnitt.
  • Um neu zugewanderte Arbeitskräfte zu halten, bedarf es in Deutschland effektiver Maßnahmen zur emotionalen Mitarbeiterbindung.

Fünf Jahre lang hat die deutsche Wirtschaft Stagnation erlebt, viele sprechen von einer Rezession. Gründe dafür gibt es viele: die Corona-Pandemie, Probleme in Lieferketten, Krieg in der Ukraine, die daraus entstandene Energiekrise und Inflation. Eines der in diesem Zusammenhang größten Probleme jedoch ist der akute Arbeitskräftemangel in Deutschland.

Tatsächlich werden, nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, 12,9 Millionen Menschen (knapp 30 % des heutigen Arbeitsmarktes) in Deutschland in den nächsten 15 Jahren das gesetzliche Rentenalter erreichen. Das ifo Institut warnt außerdem vor einem neuen Tiefstand in der Verfügbarkeit von Fachkräften (fast die Hälfte aller deutschen Unternehmen sehen sich gegenwärtig gezwungen, aufgrund eines Arbeitskräftemangels Geschäftschancen nicht nutzen können, weil sie Aufträge ablehnen müssen). Diese Probleme treffen den Dienstleistungssektor und das verarbeitende Gewerbe besonders hart – und werden sich voraussichtlich noch verschärfen.

Eine einfache und schnelle Lösung für all diese Probleme gibt es nicht. Deutschlands Unternehmen können weder die Babyboomer-Generation aus dem Ruhestand holen noch Millionen an Arbeitskräften über Nacht weiterbilden oder Menschen zwingen, Jobs anzunehmen, die sie nicht möchten.

Sie können jedoch zu Unternehmen werden, für die Menschen arbeiten möchten, und dadurch jene Mitarbeitenden zum Bleiben bewegen, die anderenfalls vor ihrem gesetzlichen Rentenalter aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden wären.

Geschäftsführende denken vielleicht, dass ihre Unternehmen dies schon immer waren, denn die deutsche Arbeitsmoral ist weltweit bekannt und deutsche Fertigung ein Synonym für Qualität. Der aktuelle akute Arbeitskräftemangel zeigt jedoch, dass jene kulturellen, sozialen, bildungspolitischen und finanziellen Merkmale, die als selbstverständlich galten – und aus Deutschland den wirtschaftlichen Motor Europas machten – nicht mehr ausreichen.

Kurz gesagt: Was Deutschland bis hierhin gebracht hat, wird es nicht weiterbringen.

Deutschlands Unternehmen müssen das Thema „Arbeitskräfte“ anders angehen. Dazu gehört, Arbeitnehmende als Menschen und nicht als „Ressource“ anzusehen. Die Betrachtung der emotionalen Mitarbeiterbindung kann den ersten Schritt auf diesem Weg darstellen.

Emotionale Mitarbeiterbindung in Deutschland

Emotionale Mitarbeiterbindung ist ein elementarer Grundstein für die Optimierung von Arbeitsplätzen. Gallup definiert emotionale Mitarbeiterbindung als die Bereitschaft und Begeisterung, die Mitarbeitende bei der Arbeit und an ihrem Arbeitsplatz zeigen. Anhand von jahrzehntelanger Forschung haben wir 12 Bedürfnisse identifiziert, die Führungskräfte erfüllen müssen, um die Produktivität ihrer Mitarbeitenden zu verbessern. Diese 12 Elemente bilden die Grundlage für die von Gallup entwickelten Q12®-Fragen. Einige davon sind praktischer Natur, der Großteil behandelt emotionale Aspekte: werden alle 12 Bedürfnisse erfüllt, sind das Ergebnis motiviertere, loyalere Mitarbeitende, die ihr Bestes geben und ihr Unternehmen in vielerlei Hinsicht leistungs- und wettbewerbsfähiger machen.

So sahen beispielsweise sechs von zehn Mitarbeitenden in Deutschland mit hoher emotionaler Mitarbeiterbindung in den letzten zwölf Monaten eine Möglichkeit, um ihr Unternehmen zu verbessern und reichten einen Verbesserungsvorschlag ein – unter den Mitarbeitenden ohne emotionale Bindung waren es lediglich vier von zehn. Ungefähr die Hälfte aller Mitarbeitenden mit hoher emotionaler Bindung berichteten, dass ihre Ideen umgesetzt wurden. Auf die Frage, ob ihre Ideen zu Kosteneinsparungen, Umsatzsteigerungen oder verbesserter Effizienz geführt haben, antworteten neun von zehn der Mitarbeitenden mit hoher emotionaler Bindung „Ja“ (verglichen mit sieben von zehn Mitarbeitenden ohne emotionale Bindung).

Auch wenn die Besetzung von offenen Stellen im aktuellen Arbeitsmarkt schwierig und die Schaffung einer emotionalen Bindung bei einer ganzen Belegschaft nicht einfach ist, lohnt es sich, in die emotionale Bindung aller Mitarbeitenden zu investieren. Gallup hat die Ergebnisse von Geschäftseinheiten im obersten Quartil mit jenen von Einheiten im untersten Quartil verglichen und signifikante Unterschiede bei gewünschten Betriebsergebnissen festgestellt, darunter Fehlzeiten, Fluktuation, Arbeitsunfälle, Produktivität und Profitabilität. Emotional hoch gebunden Mitarbeitende können zwar das Problem des Arbeitskräftemangels nicht lösen, doch sie können die Auswirkungen mit qualitativ besserer Arbeit, höherer Produktivität sowie gewaltigen Kosteneinsparungen ausgleichen und dabei für maßgeblich höhere Profitabilität sorgen.

Außerdem haben Unternehmenskulturen, die die Voraussetzungen für Agilität erfüllen, bessere Chancen, eine erhöhte Kooperation zwischen Abteilungen und eine schnellere Entscheidungsfindung zu verzeichnen. Sie nutzen ihre Technologien besser und ihre Mitarbeitenden lernen aus Fehlern, anstatt sie zu verheimlichen, um Strafen zu entgehen. Diese Art von Umfeld treibt Innovation voran, optimiert Prozesse und produziert mehr – und das schneller.

Agilität und emotionale Mitarbeiterbindung sind zwei verschiedene Dinge, die jedoch einen gemeinsamen Nenner haben: die Führungskraft.

Wie können produktive, agile, innovative und emotional hoch gebundene Mitarbeitende geschaffen werden?

Führungskräfte haben weitaus mehr Einfluss, als ihnen zugestanden wird. Tatsächlich werden die Bedingungen, die die emotionale Mitarbeiterbindung fördern, zum Großteil von Führungskräften geschaffen. Indem sie die Arbeit auf die einzelne Person abstimmen, ihre Stärken optimal nutzen und fortlaufendes, zielgerichtetes Feedback geben, können Führungskräfte die emotionale Mitarbeiterbindung jeden Tag positiv beeinflussen. Doch nur wenige deutsche Führungskräfte wissen, wie sie das anstellen sollen.

Die meisten Führungskräfte erlangen ihre Stelle aufgrund von Beschäftigungsdauer oder Erfolg in ihrer vorherigen Position. Dadurch verfügen sie über ein hohes Maß an Fachwissen in den Bereichen Prozesse, Richtlinien und Produktionsanlagen – alles wertvolle Fähigkeiten – aber nicht im Bereich Mitarbeiterführung. Aus der letzten von Gallup in Deutschland durchgeführten Erhebung zum Thema emotionale Mitarbeiterbindung geht hervor, dass 17 % aller Mitarbeitenden eine hohe emotionale Bindung zeigen. Der Großteil (69 %) verfügt über eine geringe emotionale Bindung, 14 % sind nicht emotional gebunden. Mitarbeitende mit geringer emotionaler Bindung machen Dienst nach Vorschrift. Die Medien bezeichnen dieses Phänomen als „Quiet Quitting“. Die meisten emotional hoch gebunden Mitarbeitenden (77 %) suchen nicht nach einer neuen Stelle – das trifft jedoch in deutlich geringerem Maße auf Mitarbeitenden mit geringer emotionaler Bindung (58 %) und ohne emotionale Bindung (51 %) zu.

Auch wenn Mitarbeitende mit geringer und ohne emotionale Bindung augenscheinlich kein großer Verlust sind, so befinden sich unter ihnen jedoch hochqualifizierte ExpertInnen, Fachkräfte und Sachkundige. Diese Mitarbeitenden verfügen über unverzichtbaren Fähigkeiten und Kenntnisse, die nur mit großem finanziellem und zeitlichem Mehraufwand ersetzt werden können. Ihr Mangel an emotionaler Bindung kommt ihren Unternehmen nicht billig, ihr Verlust wäre jedoch weitaus teurer.

Vielleicht ist die Überraschung nicht die schleppende Konjunktur Deutschlands, sondern die Tatsache, dass die Dinge so lange so gut liefen.

Das ist der nur selten berücksichtigte Hintergrund, vor dem sich der aktuelle Arbeitskräftemangel abspielt – und das, während Strategien umgesetzt werden, um die Anzahl an Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.

So schlägt etwa das Statistische Bundesamt vor, mehr Frauen in die Belegschaft zu bringen (Gallup-Forschung zeigt, dass Frauen seltener einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, egal ob angestellt oder selbstständig, als Männer). Gleichzeitig arbeiten einige Behörden an der Reformierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG), um die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zu vereinfachen.

Tatsächlich schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, dass es Deutschland jedes Jahr an zusätzlichen 400.000 Arbeitskräften fehlt, um jene Lücken im Arbeitsmarkt zu schließen, die durch eine älter werdende Bevölkerung entstehen. Möglicherweise ist dies vorerst der beste Ansatz: momentan befinden sich laut Bundeskanzler Olaf Scholz knapp 800.000 ukrainische Flüchtlinge in Deutschland, und ein Anteil wird in den Arbeitsmarkt eintreten können. Doch auch ihr Aufenthalt ist möglicherweise zeitlich beschränkt und kann mit der Rückkehr des Friedens in ihrem Land enden.

Im Allgemeinen betrachtet lässt Deutschlands Potenzial als attraktive Einwanderungsdestination jedoch Hoffnung aufkeimen. In der von Gallup durchgeführten Erhebung unter potenziellen Zuwandernden erscheint Deutschland stehts an der Spitze: sieben Prozent aller, die nach einer neuen Heimat suchen, möchten nach Deutschland kommen. Auch wenn doppelt so viele Menschen in den USA leben möchten, sprechen wir hier immer noch von 56 Millionen Menschen – eine überraschend hohe Zahl, vor allem angesichts der Sprachbarriere.

Die von Gallup durchgeführte Studie zeigt außerdem, dass der Großteil dieser potenziellen Zuwanderer jünger ist als die durchschnittliche Bevölkerung. Ein großer Anteil (jede fünfte Person) hat eine vierjährige postsekundäre Bildung durchlaufen.  Würde jede Person, die nach Deutschland ziehen möchte, dies tun, dann würde sich der jüngere Gesellschaftsanteil mit hoher formaler Bildung deutlich erhöhen. Eine zielgerichtete Zuwanderungspolitik würde diese Ergebnisse wahrscheinlich noch weiter verbessern.

In diesem Zusammenhang werden es gegenwärtige Strategien zur Vergrößerung der erwerbstätigen Bevölkerung es deutschen Unternehmen hoffentlich ermöglichen, offene Stellen zu besetzen und die Bedürfnisse von Kunden zu erfüllen. Doch Millionen an neuen Arbeitskräften nach alten Methoden einzustellen und zu beschäftigen, wird die deutsche Wirtschaft nicht erstarken lassen. Dafür braucht es produktive, agile, innovative und emotional gebundene Mitarbeitende – und sachkundige, kompetente Führungskräfte, die sie fördern.

Es ist machbar: In Deutschland ansässige Gallup-Kunden verzeichnen drei emotional hoch gebundene Mitarbeitende auf jede emotional nicht gebundene Arbeitskraft, während wir in Deutschlands arbeitender Bevölkerung ein Verhältnis von 1:1 beobachten. Tatsächlich sind viele Unternehmen hoch emotional gebunden, besonders agil und außerordentlich gewinnbringend.

Obwohl ihre Anzahl zu gering ist, um die deutsche Wirtschaft in altem Glanz erstrahlen zu lassen, sind sie Vorbilder für das ganze Land und illustrieren, wie Menschen in schwierigen Zeiten die Ertragskraft eines Unternehmens stärken können. Je eher es ihnen andere Unternehmen gleichtun, desto besser.

So können Sie Mitarbeitende mittels emotionaler Mitarbeiterbindung, der neuen Arbeitsweise, gewinnen und motivieren:

Author(s)

Marco Nink ist Director of Research and Analytics für EMEA bei Gallup.


Gallup https://www.gallup.com/de/470642/emotionale-mitarbeiterbindung-impulse-deutsche-wirtschaft.aspx
Gallup World Headquarters, 901 F Street, Washington, D.C., 20001, U.S.A
+1 202.715.3030