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Rote Karte für schlechte Führung: emotionale Bindung deutscher Beschäftigter auf Talfahrt

Rote Karte für schlechte Führung: emotionale Bindung deutscher Beschäftigter auf Talfahrt

VON Marco Nink

Wir erleben im Moment historische Zeiten: Krisen, Krieg und die erste wirklich globale Pandemie haben in den letzten drei Jahren nicht nur die Menschen und die weltweite Wirtschaft belastet, sondern auch für radikale Änderungen in einem sich vorher schon im Umbruch befindlichen Arbeitsmarkt gesorgt. Während Deutschlands Unternehmen und Beschäftigte Corona vergleichsweise gut überstanden haben und die emotionale Bindung während der Pandemie sogar stieg, ist dieser Bonus jetzt offenbar aufgebraucht. Denn der neueste Gallup Engagement Index, der im November und Dezember 2022 erhoben wurde, zeigt: Die emotionale Bindung deutscher Beschäftigter an ihren Arbeitgeber ist so niedrig wie seit 2012 nicht mehr. Nur 25 Prozent sind mit ihrer direkten Führungskraft rundum zufrieden. Was also läuft schief in Deutschlands Unternehmen?

Der Aufmerksamkeitsradar hat sich verschoben

Tatsache ist, dass viele Unternehmen zurzeit damit beschäftigt sind, Krisen zu managen, die sie nicht selbst verschuldet haben, die aber für einige Teile der Wirtschaft dramatische Auswirkungen mit sich bringen. Im Winter 2022 sah die Lage in Deutschland alles andere als rosig aus: die kalte Jahreszeit stand vor der Tür, und mit ihr die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöste Energiekrise. Der Füllstand der deutschen Gasspeicher wurde in genauso hoher Taktung kommuniziert wie Börsenkurse oder im Jahr davor noch die Inzidenzzahlen. Mit dem Versiegen der Gastransporte aus Russland kam die Ungewissheit, ob Energie bezahlbar bleiben und überhaupt in ausreichendem Maß zu Verfügung stehen würde. Die Inflation hatte zweistellige Zuwachsraten erreicht, die Folgen der Pandemie waren immer noch nicht komplett ausgestanden. Der Lockdown in China verschlimmerte die sowieso schon angespannte Lieferkettensituation. Als Resultat sah sich laut Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein Drittel der deutschen mittelständischen Unternehmen -- das Herz der deutschen Wirtschaft -- von existenziellen Herausforderungen bedroht.

Kein Wunder also, dass angesichts dieses Dauerkrisenmodus die Beschäftigten und ihre Bedürfnisse vom Aufmerksamkeitsradar gerutscht sind. Das zeigt sich im Gallup Engagement Index Deutschland 2022 sehr deutlich: Während der Anteil der Beschäftigten mit hoher emotionaler Bindung in den Pandemiejahren 2020 und 2021 mit jeweils 17 Prozent ein Rekordhoch erreicht hatte, erleben jetzt nur noch 13 Prozent der Befragten ein durch Führung positiv geprägtes Arbeitsumfeld, das in einer hohen emotionalen Bindung resultiert. So niedrig war der Wert zuletzt im Jahr 2010. Gleichzeitig ist die Anzahl der Arbeitnehmenden, die bereits innerlich gekündigt haben, auf 18 Prozent gestiegen und hat damit den höchsten Wert seit 2012 erreicht (2021: 14 %).

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Gute Lage am Arbeitsmarkt + schlechte Führung = hohe Wechselbereitschaft

Als Konsequenz davon nimmt die Bereitschaft zum Jobwechsel zu. Sie wird getrieben von der für Beschäftigte guten Lage am Arbeitsmarkt. Denn auch bei ihnen hat sich herumgesprochen, wovon Fachleute schon länger reden: Aufgrund des Arbeits- und Fachkräftemangels und dem sich langsam vollziehenden Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt halten Beschäftigte immer mehr Trümpfe in der Hand. Und das Ticken dieser Zeitbombe für den Arbeitsmarkt wird immer lauter. Beabsichtigten 2018 78 Prozent der Befragten uneingeschränkt, in einem Jahr noch bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber zu sein, ist der 2022 Wert auf 55 Prozent geschrumpft. Und mit 39 Prozent ist auch der Anteil derer, die in drei Jahren noch für ihren aktuellen Arbeitgeber tätig sein wollen, in den letzten Jahren fünf Jahren ebenfalls deutlich gesunken (2018: 65 %). Zu hohe Fluktuation können sich Unternehmen gerade angesichts der zahlreichen Krisen und der gestiegenen Kosten im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten. Denn Fluktuation bedeutet nicht nur aufwändige und teure Recruitingprozesse, sondern in der Regel auch den Verlust von Erfahrung, Fachwissen, wichtigen Kontakten und nicht zuletzt Produktivität. Je nach Komplexität der Aufgabe kann es bis zu einem Jahr dauern, bis die Arbeit wieder so effektiv und effizient erledigt wird wie von etablierten Beschäftigten. Dazu kommt, dass es im letzten Jahr im Durchschnitt 145 Tage gedauert hat, um eine offene Stelle mit einer entsprechend qualifizierten Person zu besetzen: das sind 23 Tage mehr als im Jahr zuvor und 77 Tage mehr als noch vor zehn Jahren. Über 845.000 Stellen in Deutschland können zurzeit nicht besetzt werden (Quelle: Bundesagentur für Arbeit). Emotionale Mitarbeiterbindung wird so zu einem knallharten Wettbewerbsfaktor, vor allem vor dem Hintergrund, dass Unternehmen der meisten Branchen gut gefüllte Auftragsbücher haben -- aber oft nicht genug Personal, um die Aufträge abzuarbeiten.

Gute Führung steigert die Performance

Für Unternehmen gibt es allerdings ein sehr wirksames Mittel, dem Verlust von Arbeitskräften entgegenzuwirken: gute Führung. Sie sorgt für höhere emotionale Bindung und beugt so der Wechselbereitschaft vor; denn mit steigender emotionaler Bindung, die aus einem als positiv erlebten Arbeitsumfeld durch gute Führung resultiert, sinkt die Wechselbereitschaft signifikant -- und zwar nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig. Von den hoch Gebundenen wollen 86 Prozent in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma sein (ohne Bindung: 20 %), und lediglich zwei Prozent von ihnen sind derzeit aktiv auf Jobsuche (ohne Bindung: 23 %).

Hohe emotionale Bindung hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Wechselbereitschaft, sondern auch auf die Leistung. Das belegt die jüngste Gallup-Metaanalyse, die auf der Auswertung von 276 Unternehmen aus 54 Branchen mit 2,7 Millionen Mitarbeitenden aus 96 Ländern basiert. Sie zeigt auf, dass es einen Zusammenhang zwischen emotionaler Mitarbeiterbindung und Unternehmenskennzahlen gibt.

Hohe emotionale Bindung sorgt für:

  • 18 % bis 43 % geringere Fluktuation (43 % bei Unternehmen mit einer niedrigen Fluktuation, 18 % bei Unternehmen mit einer hohen Fluktuation)
  • 81 % weniger Fehlzeiten (Krankentage)
  • 64 % weniger Arbeitsunfälle
  • 41 % weniger Qualitätsmängel
  • 10 % bessere Kundenbewertungen
  • 14 % höhere Produktivität

Anders ausgedrückt: Je größer die Anzahl der emotional hoch gebundenen Mitarbeitenden, desto leistungs- und wettbewerbsfähiger ist ein Unternehmen. Aber auch auf die Mitarbeitenden selber wirkt sich eine hohe emotionale Bindung positiv aus. Sie sind generell zufriedener, fühlen sich seltener bei der Arbeit gestresst -- und nehmen dementsprechend weniger Stress mit nach Hause, wovon auch ihr Umfeld profitiert. Bei der Schaffung einer solchen motivierenden Arbeitsumgebung spielen vor allem die direkten Führungskräfte eine zentrale Rolle, denn sie sind diejenigen, die den Arbeitsalltag maßgeblich prägen. Menschen verlassen nämlich nicht das Unternehmen, für das sie arbeiten, sondern Vorgesetzte, unter denen sie arbeiten. Allerdings ist nur ein Viertel der Beschäftigten mit ihrer derzeitigen Führungskraft äußerst zufrieden (25 %), fast vier von zehn Befragten (38 %) sehen hier Nachholbedarf.

Unsere Analysen zeigen, dass Gallup-Kunden, die in Deutschland aktiv an der Qualität der erlebten Führung und dem Arbeitsumfeld arbeiten, die emotionale Bindung ihrer Mitarbeitenden im Schnitt auf 40 Prozent steigern können -- die besten Unternehmen kommen sogar auf einen Wert von 60 Prozent.

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Und vor diesem Hintergrund gibt es für schlechte Führung keine Entschuldigung mehr.

Nähere Informationen zu unseren Leistungen finden Sie hier.

Author(s)

Marco Nink ist Director of Research and Analytics für EMEA bei Gallup.


Gallup https://www.gallup.com/de/505997/rote-karte-schlechte-f%25C3%25BChrung-emotionale-bindung-deutscher-besch%25C3%25A4ftigter-talfahrt.aspx
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